Bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wird jede einzelne Packung genau erfasst. Wie wird dabei Transparenz gewährleistet? Was kann die FMCG-Branche aus diesen Erfahrungen lernen und in welchen Bereichen rund um Lebensmittel bringt ein ähnliches Tracking wirklich Mehrwert?
Diese und weitere Fragen beantwortet Daniel Dangl, Customer Management bei Austrian Medicines Verification Systems, im Gespräch mit CASH-Redakteur Karl Stiefel.
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Von den Basics bis zu den größten Herausforderungen: Die wichtigsten Take-Aways aus dem Interview finden Sie hier im Überblick.
Wofür braucht man 2D Codes auf Medikamenten?
In Österreich werden jährlich rund 180 Millionen rezeptpflichtige Arzneimittel verkauft. Das sind etwa 800.000 Packungen pro Tag. Jede von ihnen ist mit einer einmaligen Seriennummer gekennzeichnet, die in einem 2D Code (GS1 DataMatrix) verschlüsselt ist. Sie sorgt dafür, dass jedes einzelne Medikament eindeutig identifiziert werden kann.
Beim Kauf in der Apotheke oder Arztpraxis wird der GS1 DataMatrix auf der Verpackung gescannt und die Seriennummer mit der Datenbank des Austrian Medicines Verification Service (AMVS) abgeglichen.
Die AMVS-Datenbank …
… ist das zentrale Sicherheitssystem für rezeptpflichtige Arzneimittel in Österreich. Sie sorgt dafür, dass gefälschte Arzneimittel nicht in die Lieferkette gelangen.
Warum tragen rezeptfreie Arzneimittel keinen Code?
Fälschungen betreffen hauptsächlich rezeptpflichtige Arzneimittel – von Abnehm- über Potenzmittel bis zu Krebs-Medikamenten. Deshalb setzt der Gesetzgeber den Fokus besonders auf diesen Bereich.
Warum entschied man sich für 2D Codes?
Um die europaweit gültige „Arzneimittel-Fälschungsschutz-Richtlinie“ praktikabel umzusetzen, musste der Strichcode auf der Verpackung mehr Informationen verschlüsseln als nur die Artikelidentifikation GTIN. Neben der einmaligen Seriennummer zur eindeutigen Verifikation sollten zukünftig auch Charge und Verfallsdatum mit nur einem Scan erfasst werden können.
Diese Voraussetzungen erfüllte der klassische EAN-13 nicht. Deshalb fiel die Wahl auf den 2D Code GS1 DataMatrix. Er ist besonders kompakt und eignet sich perfekt dazu, die notwendigen Informationen effizient und platzsparend zu transportieren.
2D Codes: Die Zukunft der Strichcodes?
Was genau ist ein 2D Code? Wofür kann man sie anwenden und wo kommen sie bereits in der Praxis erfolgreich zum Einsatz?
Wir haben die wichtigsten Informationen rund um die neuen Codes für Sie zusammengefasst!
Herausforderungen beim Umstieg von 1D auf 2D
Der Wechsel von 1D- auf 2D Codes brachte Herausforderungen für die gesamte Pharma-Branche mit sich.
Während der EAN-13 Strichcode schon auf der Packung vorgedruckt war, musste der neue 2D Code GS1 DataMatrix separat auf die Verpackungslinie angebracht werden.
Das bedeutete …
- die Umrüstung der Verpackungslinie,
- die Anschaffung neuer Drucker und Kamerasysteme sowie
- die Umstellung des Qualitätsmanagements.
Auch bestehende IT-Systeme mussten an die neuen Anforderungen zur Verwaltung der Seriennummern angepasst und an die Datenbank angebunden werden.
Neue Prozesse am Point of Dispense
Ebenso am „pharmazeutischen Point of Sale“ – dem Point of Dispense – mussten die technischen Voraussetzungen geschaffen werden, um die neuen Codes zu verarbeiten.
Apotheken oder hausapothekenführende Ärzte mussten sich um die Anschaffung neuer Scanner sowie die Anpassung der Software kümmern, damit die verschlüsselten Seriennummern auf den Arzneimittel-Verpackungen verifiziert werden konnten.
Am Point of Dispense
- Verifikation der Seriennummer: Gibt es die Nummer wirklich und/oder wurde sie bereits verwendet?
- Deaktivierung der Seriennummer, damit sie nicht noch einmal verwendet werden kann.
Als besondere technische Herausforderung stellte sich die korrekte Einstellung der Scanner heraus: Nicht nur Sonderzeichen, sondern auch unterschiedliche Sprachen oder die Unterscheidung zwischen Groß-/Kleinbuchstaben führten zu Fehlermeldungen, da der Code nicht korrekt mit der Datenbank abgeglichen werden konnte.
2D Codes nutzen: Was kann der FMCG-Bereich daraus lernen?
Obwohl die Rückverfolgbarkeit auf Ebene der Seriennummer für Lebensmittel nicht vorgesehen ist, können 2D Codes Vorteile für den FMCG-Bereich bringen.
Sie eignen sich in allen Situationen, in denen zusätzliche Informationen bereit gestellt werden müssen, wie beispielsweise
- für die Inventur in der Filiale mithilfe von MHD und Charge
- für den Überblick über den Lagerbestand
- für den Zugriff auf Produkte, die kurz vor dem Ablauf des MHD stehen oder es überschritten haben
Auch, wenn Hersteller ergänzende Informationen für Konsumenten digital zur Verfügung stehen möchten – egal, ob Kochrezepte, Gebrauchsanweisungen oder Herkunftsangaben – können dafür 2D Codes genutzt werden.
Die Voraussetzungen für den Einsatz von 2D Codes
Im Gegensatz zur Pharma-Branche gibt es keine gesetzlichen Vorgaben, welche Daten verpflichtend angegeben werden müssen. Handel und Produzenten müssten sich deshalb auf Mindestanforderungen einigen und gemeinsam definieren, welche Informationen für den Einsatz von 2D Codes relevant sind.
Gleichzeitig kann jeder Hersteller oder Händler selbst individuelle Anforderungen und Ziele bestimmen, um eine Entscheidung für jene Informationen zu treffen, die er seinen Kunden bereitstellen möchte.
Diese Fragen sollte man sich bei der Umsetzung stellen:
- Wer soll die Informationen lesen können?
- Was mache ich mit den zusätzlichen Daten?
- Wie führe ich die Anforderungen der unterschiedlichen Player zusammen?
2D für FMCG: Wo liegt der Handlungsbedarf?
Was die Nutzung von 2D Codes im Handel betrifft, stehen sowohl die Industrie als auch der Handel vor Herausforderungen, die Aufwand und Kosten bedeuten:
- Umrüstung der laserbasierten Scanner auf kamerabasierte Modelle, überall dort, wo 2D Codes verarbeitet werden sollen – also nicht nur an der Kasse, sondern auch im Lager
- Anschaffung neuer Drucker und Kameras für Verpackungslinien in der Produktion
- Aufrüstung der Software sowie Herstellung von Schnittstellen zur Datenbanken
- Definition neuer Prozesse: Wo soll welche Information ausgelesen und verwertet werden?
Nicht zu vergessen ist laut Dangl der Faktor Mensch: Für die erfolgreiche Umsetzung ist die Schulung aller Beteiligten essenziell. Während in der Pharma-Branche beispielsweise das Verständnis dafür geschaffen werden musste, dass jede Packung einzigartig ist, könnte im FMCG-Bereich vermittelt werden:
Was sind das für zusätzliche Informationen und was kann man damit anfangen?
Fazit: Wie kann sich die Branche vorbereiten?
Die geglückte Einführung des Flaschenpfands hat bewiesen, dass die FMCG-Branche gemeinsam erfolgreich an einem großen Projekt arbeiten kann. Während die Branche selbst Konsens über einheitliche Vorgaben finden muss, sollten Unternehmen ihre Anforderungen und technische „Readiness“ im Blick behalten.
Aus der Erfahrung des Interviewpartners Daniel Dangl stellte sich GS1 nicht nur als wesentlicher Partner heraus, wenn es um die Vermittlung des Mehrwerts von 2D Codes an alle Beteiligten geht. Auch bei der gezielten Anpassung der Prozesse profitierte die Arzneimittel-Branche von der Expertise.
Mit einem klaren Ziel vor Augen, welche Vorteile der neuen Codes genutzt werden sollen, steht dem Start in das Projekt 2D für die FMCG-Branche nichts mehr im Wege!
Best Practice: METRO Österreich
Vor allem im Bereich Frische und Ultrafrische, wo äußere Einflüsse wie Kälte oder Feuchtigkeit eine Rolle spielen, wird die Lesbarkeit von Strichcodes auf Etiketten oft zur Herausforderung.
Der C&C-Händler METRO Österreich entschied sich deshalb für die Umstellung auf den 2D Code GS1 DataMatrix für diese Produktgruppen.
Die Zahlen sprechen für sich: Die Fehl-Lesungen an der Kasse konnten um 40 % gesenkt werden. 98,3 % aller Scans sind nun an der Kasse problemlos und rasch lesbar.
Mehr über den Einsatz des GS1 Data Matrix bei METRO Österreich
Im Detail: Die Hintergründe des Verifikationssystems
Die Grundlage für die Einführung der AMVS-Datenbank ist die „Arzneimittel-Fälschungsschutz-Richtlinie“ aus dem Jahr 2011. Sie sieht die Einführung von Sicherheitsmerkmalen für rezeptpflichtige Arzneimittel vor. Seit dem Ablauf der Übergangsfrist 2019 ist die Umsetzung europaweit verpflichtend.
Umsetzung im Stakeholder-Modell
Interessant ist: Die Datenbank wird nicht von der Behörde, sondern in Form eines sogenannten Stakeholder-Modells betrieben. Die Teilnehmer der pharmazeutischen Lieferkette selbst – Hersteller, Großhandel, Apotheken oder hausapotheken-führende Ärzte – sind für den Betrieb verantwortlich und damit auch die Gesellschafter des AMVS.
Auch die Umsetzung des zweiten vorgeschriebenen Sicherheitsmerkmals an den Verpackungen, ein „Anti-Tempering-Device“ (Erstöffnungsschutz) liegt in der Zuständigkeit der Unternehmen.
Wer hat Zugriff auf das europaweite System?
An die AMVS-Datenbank sind alle Akteure der Lieferkette angebunden, die Informationen einpflegen, scannen und auslesen müssen.
Die Inhaber der pharmazeutischen Zulassung sind an den zentraleuropäischen Daten-Hub der European Medicines Verification Organisation in Brüssel angebunden. Dort werden alle Arzneimittel-Daten zentral hochgeladen und gespeichert.
In Österreich stellt das AMVS (Austrian Medicines Verification Service) die Datenbank mit den relevanten Informationen zur Verfügung. An dieses System angebunden und zum Zugriff auf die Daten berechtigt sind u.a.
- Pharmazeutische Großhändler
- Öffentliche Apotheken
- Apotheken in Krankenhäusern
- Hausapothekenführende Ärzte